1973-2013
Evangelische Volkspartei Frutigen - 40 Jahre

16. Juni 1973 Informationsveranstaltung
Eine Handvoll Initianten haben mit einem Inserat im Anzeiger und zirka 450 persönlichen Briefen ins Hotel Simplon eingeladen. Anwesend sind 41 Personen. Nationalrat Otto Zwygart erzählt Aktuelles aus dem Bundeshaus. Stichworte: Töfflimotion, Autosteuer, Diaspora-Schulen, Teuerungsbekämpfung, Landes- planung, Schwangerschaftsunterbrechung, Münchensteiner Initiative (Dienstverweigerung). Er erläutert auch die kantonale Vorlage über das Kirchengesetz.

Tagespräsident Hans Lauber gibt Stadtrat Adrian Lörtscher aus Thun das Wort, welcher über Werden und Wesen der EVP spricht. Nach einem geschichtli- chen Rückblick kommt er zur Gegenwart und Zukunft der Partei: Seit 1967 ist die Berner Partei im Nationalrat vertreten. Aktuell hat sie 24 Sitze in Stadt- und Gemeindeparlamenten inne. „Die EVP darf sich nie mit dem gegebenen Zustand abfinden. Nur zukunftsbetonte Politik ist aufbauend.“ Mose und Jesaja werden als Vorbilder dargestellt. „Evangelisch bedeutet: Ehrlichkeit, Offenheit, freie Meinungsbil- dung, Mut, Beharrlichkeit und Gerechtigkeit. Wir sind durch den Glauben verpflichtet.“

Der BGB- Präsident Dr. Fritz Germann warnt, eine EVP-Gründung würde das politische Gleichgewicht in Frutigen gefährden. Diese Meinung teilen auch zwei uns nahestehende Gemeinderäte. Die Aussage muss relativiert werden; denn die BGB hat aktuell die absolute Mehrheit (12 von 15 Sitzen) inne!

Die EVP zielt mit ihrer Gründung auf „unparteiliche“, will sagen bisher inaktive parteilose Leute. Interessier- te können sich in Listen eintragen. Markus Kaltenrieder führt das Protokoll. Rud. Schneider ist als Presseberichterstatter anwesend.

Die Gründungsversammlung
der EVP Frutigen findet am 23. Juli 1973 statt. Anwe- send sind 19 Personen, inkl. die Herren Feller und Lörtscher aus Thun. Hans Lauber wird einstimmig zum Präsidenten gewählt, Daniel Ramsauer als Sekretär. Weitere Vorstandsmitglieder sind Ernst Josi, Heinz Schranz und Markus Kaltenrieder.

Gemeinderat: zunächst keine Chance
Für die Gemeinderatswahlen werden Werner Bircher, Gottfried Künzi, Hans Trummer und Albert Lauber vorgeschlagen. Die EVP ist auch im zweiten Wahl- gang chancenlos, zieht ihre Beschwerde betreffend Minderheitenschutz zurück, kann aber Kommissions- Mitglieder nominieren: Werner Bircher (Fürsorge), Eduard Allenbach (Bau, Feuerwehr), Walter Donzé (Gesundheit), Emil Josi (Leimbach), Hans Schnydrig (Kanalisation), Markus Kaltenrieder (Steuern), Hans Lauber (Sek), Daniel Ramsauer (amtl. Bewertung), Arnold Stoller (Wegkommission).

1975 Revision des OVR
Die EVP nimmt aktiv zur Revision des Organisationsund Verwaltungsreglements Stellung. In Majorzwahlen und aufgrund von Kandidatenkürungen an Schulversammlungen in den Aussenbezirken ist die SVP übermächtig.

1977 Die EVP zieht in den Gemeinderat ein
Hans Lauber schafft als „Aussenbezirkler“ die Wahl im Majorz. Die SVP macht einen Riesenlärm wegen dem Minderheitsdekret (SVP-Vertreter mit höheren Stimm- zahlen sind nicht gewählt). Gemeindepräsident H.E. Bühler weist anhand von Protokollen nach, er hätte diese „gesetzgeberische Missgeburt“ im Grossen Rat vehement bekämpft.

1980 OVR-Revision
Eine Kommission soll das Wahlreglement verbessern. FDP, SP und EVP sprechen sich für den Proporz aus. H.E. Bühler tritt daraufhin als Präsident der Kommission zurück. Arthur Egger (FDP) übernimmt. Walter Donzé wird beauftragt, der Gemeindeversammlung drei verschiedene Modelle vorzustellen. Die Bevölkerung stimmt der Einführung der Proporzwahl mit etwa zwei Drittelsmehrheit zu. Die SVP wird „Opfer“ ihrer eigenen Kritik.

1981 zweiter Gemeinderatssitz
Heinz Schranz gewinnt den zweiten Sitz für die EVP. Die Befürchtung, wonach die Aussenbezirke im Proporz benachteiligt würden, verfliegt, nachdem Winklen mit Hans Lauber, Hans Sarbach und Adolf Germann gleich dreifach vertreten ist. Auf dem Areal des Schwimmbades soll eine Dreifach- Turnhalle gebaut werden. Die EVP äussert als einzige Partei öffentliche Bedenken und gewinnt die Abstimmung.

EVP-Grossrat aus dem Kandertal
Der Hotelier Konrad Hari, Adelboden, wird 1982 Grossrat. In Frutigen werden wir gebeten, den Präsidenten der Schulkommission zu stellen. Die Hürde scheint uns etwas hoch; wir nominieren René Josi als Mitglied. Mit einer Kampfkandidatur verhindert die FDP seinen Einsitz. Wir müssen unsere Basis besser informieren!

1983 André Schmid neuer Präsident
Mit einem staatsbürgerlichen Seminar erklären wir, wie wirksam gewählt und abgestimmt werden kann. Ernst Josi wird Zivilschutz-Ortschefstellvertreter. André Schmid übernimmt von Hans Lauber das Präsidium. Erfolgreiche EVP-Aktivitäten 1984 markiert die EVP erfolgreich Widerstand gegen ein überrissenes Projekt für ein Trottoir aufs Niederfeld. Die Partei wird allgemein als „gwirbig“ wahrgenommen.

1985 erreichen wir eine Wählerstärke von 2,5 Mandaten im Gemeinderat. Gewählt werden Heinz Schranz und Johann Inniger. Im Dezember nominieren wir André Schmid für die Schulkommission. Für den Fall einer erneuten Kampfkandidatur hält sich Walter Donzé bereit. Diesmal stellt die SP einen zusätzlichen Kandidaten - mit dem Resultat, dass beide EVP-Vertreter gewählt werden!

Migros-Projekt gibt zu reden
1987 legt die Migros ein grosszügiges Bauprojekt auf dem Gelände des ehemaligen Tankareals beim Bahnhof auf. Das gibt unglaublich zu reden! Einheimische Gewerbler laufen Sturm und erwirken eine Kernplanung für den Dorfbezirk. Im Schatten dieser Diskussion erstellt Coop einen grossen Laden an der Falkenstrasse.

1988 fordert Walter Donzé an der Gemeindeversammlung ein Datenschutzreglement - und wird gleich Präsident der vorbereitenden Kommission. Das Organisationsreglement wird bereits wieder überarbeitet und der Gemeinderat um zwei Mitglieder verkleinert.

1989 - Sitze gehalten
André Schmid kann aus geschäftlichen Gründen nicht kandidieren. In den Wahlen 1989 wird Johann Inniger bestätigt und Walter Donzé neu gewählt. Er übernimmt als Stellvertreter des Ressorts Soziales den Bereich Gesundheit. Hauspflege und Gemeindekrankenpflege werden in einen Spitex-Verein überführt. Eine Spezial-kommission nimmt sich der Suchtprobleme an. 1991 wird das neue Spital eingeweiht.

Von André Schmid zu Ruedi Reichen
1990 übernimmt Ruedi Reichen das Präsidium der Ortsgruppe. 1991 feiert der Amtsbezirk Frutigen seine 800jährige Zugehörigkeit zu Bern mit einem Festumzug und einem Begegnungstag mit seinen Bürgern. Das von Frutigen aufzunehmende Kontingent an Asylbewerbern wird auf 80 Personen aufgestockt.

Sensationelle Wahlen 1993
Trotz Reduktion des Gemeindesrats von 16 auf 11 Mitglieder und Kampfwahl um das Ratspräsidium verzeichnet die EVP einen historischen Erfolg: Walter Donzé wird mit 67 Prozent der Stimmen im Majorz zum Obmann gewählt. Weil er gleichzeitig noch als Ratsmitglied kandidieren kann, schafft die EVP im Proporz drei Sitze. Sie werden von Jürg Trummer, Gottlieb Steiner und Werner Maurer eingenommen. Die EVP ist gleich stark wie die SVP vertreten! Dieser Erfolg fährt den anderen Ortsparteien derart ein, dass sie eine Änderung des Wahlreglements fordern. Künftig wird der Ratspräsident im Voraus gewählt. Als designierter Obmann initialisiert Walter Donzé auf Ersuchen des Schweizerischen Gemeindeverbandes eine Gemeindepartnerschaft mit Teteven (Bulgarien) und zieht diese die nächsten acht Jahre durch. Zusammen mit dem neuen Gemeindeschreiber Peter Grossen bekommt die Gemeindeverwaltung einen neuen Auftritt: Leitbild für die Verwaltung, Gemeinde- Logo, Frutigposcht, Gemeindebroschüre… Die Sozialdienste werden reorganisiert, ein neues Schulzentrum auf dem Widi eingeweiht (mit grossem Festumzug), die Berufsschulen gesichert, die Riedstrasse ausgebaut. Das NEAT-Projekt erfordert viel Engagement der Gemeinde und eine sorgfältige Information und Mitsprache der Bevölkerung.

1995 rückt Hans Bettschen, Scharnachtal, für Konrad Hari in den Grossen Rat nach.

1997 Erfolgreiche Wiederwahl
Es darf als Vertrauensbeweis der Bevölkerung gewertet werden, dass Walter Donzé als Ratspräsident und alle drei EVP-Mitglieder die Wiederwahl schaffen. Besondere Ereignisse in dieser Legislatur sind der Lawinenwinter, der Lothar-Sturm, der Beschluss zum Bau der Dreifach-Sporthalle am Bahnhof, neue Schulstrukturen, „Freundliches Frutigen“ und die Sicherung der Rettungsdienste am Regionalspital. Sparrunden des Kantons zwingen die Gemeinden zu ungewohnten Aktionen. Dem Berner Finanzdirektor Hans Lauri wird eine Liste mit Massnahmen unterbreitet, welche auch die Gemeinden entlasten. Sie werden praktisch alle umgesetzt und Walter Donzé in die Expertenkommission für den Finanzausgleich im Kanton Bern berufen.

Im Grossen Rat zu Bern vertreten
In den kantonalen Wahlen von 1998 wird Walter Donzé als Kandidat für den Regierungsrat aufgestellt. Mit dem Motto „Zämeha - für Bärn“ und auf einer Liste, die sämtliche wiederwählbaren Regierungsmitglieder und den EVP-Kandidaten aufweist, schafft er ein fünfmal höheres Ergebnis für die EVP als bisher. Im Oberland wäre er sogar gewählt worden. Weil Hans Bettschen Zweifel an seiner Wiederwahl anmeldet, wird Walter Donzé auch auf die Grossrats-Liste gesetzt – und gewählt.

Die EVP Frutigen hat einen Grossrat!
Sein bekanntester Vorstoss ist der Lawinenschutztunnel Mitholz. In der NEAT-Projektkommission beantragt er den Abbruch des Frutiger Silos und eine Linienführung tief durch den Bahnhof. Die EVP Frutigen hat einen Nationalrat! Im Herbst 2000 tritt Otto Zwygart jun. aus dem Nationalrat zurück. Walter Donzé ist sein Nachfolger. Wer hätte das gedacht: 27 Jahre nach ihrer Gründung hat unsere Ortspartei einen direkten Draht ins Bundeshaus! Hans Bettschen verzichtet auf ein erneutes Nachrutschen, worauf die EVP Amt Frutigen Markus Grossen aus Reichenbach meldet.

Listenverbindung mit der EDU
Mittlerweile wurde auch in Frutigen eine Sektion der EDU gegründet. Unser Verhältnis als Christen soll nicht an der politischen Konkurrenz scheitern. Seit den Wahlen von 2001 sind unsere Listen in den Gemeindewahlen verbunden. Das Ergebnis der Wahlen 2001 fällt zugunsten der EVP aus. Haarscharf werden zwei Vollmandate erreicht. Der EDU fehlen knapp zwanzig Parteistimmen für den besseren Quotienten. Die beiden EVP-Vertreter Konrad Klötzli und Kathrin Allenbach nehmen Einsitz im Rat.

Jürg Trummer Präsident
2002 zieht Ruedi Reichen mit seiner Familie von Frutigen weg. 
Jürg Trummer übernimmt die Führung – zunächst für ein Jahr. Kathrin Allenbach vollbringt als Vorsteherin des Ressorts Schule eine sehr schwierige Aufgabe. Aufgrund des kantonalen Spardrucks müssen Klassen und sogar Schulhäuser geschlossen werden.

2005 Wahlen wieder zugunsten der EVP
Der Gemeinderat besteht noch aus neun Mitgliedern. Dank der Listenverbindung schafft die EVP drei Sitze. Der EDU fehlen wieder nur wenige Stimmen. Dieter Rohrbach ergänzt das Team mit den beiden bisherigen EVP-Leuten.

Wahlen 2009: EDU wird belohnt
Unsere Listenverbindung schafft drei Mandate, wovon eines ein Restmandat ist. Mit Stephan Stoller zieht die EDU erstmals im Rat ein. Die EVP ist mit Dieter Rohrbach (bisher) und Hans Peter Bach (neu) vertreten. Konrad Klötzli unterliegt als Gemeindepräsident Kurt Zimmermann von der SVP und wird Vize. Anstelle eines Interimsjahres hat Jürg Trummer neun Jahre an der Spitze der EVP Frutigen ausgeharrt. Er wurde von Dieter Rohrbach als Vizepräsident kräftig unterstützt. Walter Donzé, im Herbst 2010 aus dem Nationalrat zurückgetreten, wird Präsident. Simon Hug amtiert neu als Sekretär. Die Finanzierung der Parteitätigkeit ist eine gewichtige Herausforderung, denn die Kasse weist eine Unterbilanz auf.

2013 Schlechter Lohn für gute Arbeit
Die Wahlen 2013 verlaufen enttäuschend. Hans Peter Bach liefert ein sensationelles Resultat, und der EDU-Vertreter Stephan Stoller wird glänzend wiedergewählt. Die EVP-Liste mit vier kumulierten Kandidaten kann jedoch der Herausforderung des „Liberalen Frutigen“ und einer entsprechend mobilisierten SVP nicht standhalten. Wir verlieren unser Restmandat von 2009, welches an die SVP geht. Die Resultate sind ausgewertet. Die Lehren für 2017 sind gezogen. Nach den Wahlen ist vor den Wahlen. Wie hat es Adrian Lörtscher vor vierzig Jahren gesagt: „Die EVP darf sich nie mit dem gegebenen Zustand abfinden. Nur zukunftsbetonte Politik ist aufbauend.“